Die Pandemie und ihre Folgen für vulnerable Personen

Die Diskussion über die Auswirkungen der Pandemie auf die Gesellschaft ist noch nicht vorbei. «Systemrelevant» ist das Adjektiv des Frühlings. Wer für das Funktionieren des öffentlichen Alltags – des Systems – zuständig ist, sah man gut in den letzten Monaten. Klar wurde, wie hilfreich digitale Netze, digitale Ersatzstrukturen und digitale Dienstleistungen sind. Und ebenso gut sah man, welche Gruppen nicht davon profitieren können, weil sie analog sind, nicht mithalten können mit dem digitalen Tempo. Es sind psychisch kranke, behinderte oder einfach nur gebrechliche Menschen, die in sozialen Institutionen wohnen oder arbeiten.

Für sie waren die Einschränkungen dieses schwierigen Frühlings besonders hart. Man hat sie, durchaus aus guten Gründen, aus ihrem Alltag ausgeschlossen. Sie mussten nicht nur zuhause bleiben, im Heim; sie mussten auch oft über lange Zeit Besuche ihrer Angehörigen entbehren, Spaziergänge missen, sie erhielten gewisse Therapien nicht mehr, weil Gruppen nicht mehr stattfinden durften, weil Schwimmbäder geschlossen worden waren. Weil das Leben stillstand.

Das Programm SeitenWechsel, das mit über hundert sozialen Institutionen zusammenarbeitet, hatte Gelegenheit, mit einigen solcher Institutionen zu sprechen. Zum Beispiel mit dem Wohnhuus Bärenmoos in Oberrieden. Dort leben Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung oder Hirnverletzung. Lange galt  absolutes Besuchsverbot für Besuchende. Ebenso konnten die Betreuten übers Wochenende nicht mehr zu ihren Familien nach Hause, nicht mehr an externen Physio-Therapien teilnehmen und auch nicht selber einkaufen oder spazieren gehen. Die Bewegungsfreiheit der Betreuten war auf das Haus und das Areal beschränkt. Inzwischen sind Besuche unter Einhaltung aller Hygiene- und Abstandsvorschriften wieder möglich.

Das Café Yucca der Zürcher Stadtmission, das Mahlzeiten und Beratung anbietet für Menschen, die kein Obdach oder kein Geld haben, hat während des Lockdown Mahlzeiten
abgegeben und den Cafébetrieb ausgesetzt. Die Situation der Klientel ist weiterhin prekär. Statt 200 Beratungen pro Monat waren es 50 Prozent mehr, und es zeichnet sich ab, dass das konstant hoch bleibt.

Andere Institutionen mussten ihre Klientinnen und Klienten von heute auf morgen von analog auf online umstellen wie z.B. Sintegra Zürich, eine Institution für Menschen in einer psychischen Krise. Besondere Herausforderung dabei: Die psychisch beeinträchtigten Klientinnen und Klienten der Arbeitsintegration besassen oft nicht einmal einen Computer. Geschweige denn konnten sie ihn bedienen.

Corona brachte auch unerwartet Positives: Zum ersten Mal seit langem musste der Leiter des Gasthauses Schlosshalde, das mit Jugendlichen, die während ihrer Oberstufenschulzeit eine spezielle Betreuung brauchen, an Ostern nicht arbeiten. Und die  Betreuten des Wohnhuus Bärenmoos konnten flexibler wählen, ob sie etwas heute oder morgen machen möchten, weil alles nur noch intern stattfand und ihr Tag nicht mehr voller Termine war. Diese Form der Selbstbestimmung war vorher viel weniger gut möglich.

Aber die Einblicke zeigten vor allem eines: Für die vulnerablen Gruppen waren die Einschränkungen durch die Pandemie besonders gravierend, und teilweise sind sie noch lange nicht vorbei. Was das heisst, wird sich in den nächsten Monaten zeigen.