«Am 2. Tag des Lockdowns kam die Gewerbepolizei»

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Juni 2020 – Das Café Yucca der Zürcher Stadtmission bietet zu normalen Zeiten Mahlzeiten und Beratung für Menschen, die kein Obdach oder kein Geld haben oder die sonst in schwierigen Lebenslagen unterwegs sind. Während des Lockdowns zahlte es im Auftrag des Kantons Zürich Nothilfe-Gelder aus. Teamleiter Kurt Rentsch über die Arbeit für Menschen ohne Zuhause, während es hiess: „Bleiben Sie zu Hause“.

«Anders als normale Restaurants haben wir nicht komplett geschlossen, sondern nur unsere Öffnungszeiten reduziert. Am zweiten Tag nach dem Lockdown kam die Gewerbepolizei vorbei, sie hätten gehört, hier sei noch eine Beiz offen. Tags darauf kamen sie nochmals und bedankten sich, dass wir die Nothilfe aufrechterhalten.

Die Themen unserer Gäste sind: Essen, trinken, Obdach. Wie kann ich mein Leben regeln, wo schlafe ich. Wir bieten Gespräche an und menschlichen Kontakt. Diese Themen haben sich in den letzten Wochen enorm zugespitzt. Zu Beginn des Lockdowns fragten uns einige Gäste, ob sie denn jetzt stehlen sollten. Es gab keine Passanten mehr, bei denen sie betteln konnten, die Sozialstellen, wo sie sonst zu essen bekamen, waren zu, die Strassen waren menschenleer. Unsere Klientel lebt von der Hand in den Mund. Da war die Corona-Nothilfe ein Segen: Im Auftrag des Kantons durften wir über drei bis vier Wochen 23 Franken pro Tag an nicht in der Stadt Wohnhafte ausschütten, damit sie nicht noch in die Gemeinden reisen mussten. Andere Bedürftige wurden von anderen städtischen und privaten Anlaufstellen unterstützt.

Bleiben Sie zu Hause geht ja nur, wenn man eines hat. Mit der Stadt und anderen sozialen Institutionen haben wir eine Kooperation geschaffen. Alle zusammen konnten wir beispielsweise einigen Obdachlosen Hotelzimmer organisieren und sie bitten, dort im Haus zu bleiben. Auch unsere Stammgäste, die Wohnungen haben, baten wir, zu Hause zu bleiben und anzurufen statt vorbeizukommen. Die meisten kamen dann aber doch lieber vorbei für ein Gespräch.

Aus diesen Hotelzimmern mussten die obdachlosen Menschen nun wieder ausziehen. Das war aber von Anfang an klar, wir machen keine falschen Versprechungen, das bringt nichts und gibt nur Ärger, wenn die Leute merken, dass wir ihnen nicht für immer helfen können. Wir können die Realität nicht ausblenden. Jetzt geht es darum, dass die Leute sich nicht zu viel bewegen.

Obwohl wir wegen unserer dünnen Personaldecke nicht in zwei Gruppen arbeiten konnten, im Krankheitsfall also kein Reserveteam gehabt hätten, haben alle unsere zwölf Mitarbeitenden mitgezogen, so dass wir den Betrieb nicht noch mehr einschränken mussten. Ich bin sehr stolz auf mein Team. Wir haben täglich offen, nur wenige Leute aufs Mal können sich im Yucca aufhalten und nur kurz. Take-Away-Essen gibt es Mittwoch, am Wochenende und an Feiertagen und nur zum Mitnehmen. Die anderen Tage kocht die Gassenküche gleich um die Ecke. Im Moment machen wir statt 200 Beratungen pro Monat deren 300, also ein Plus von 50 Prozent, und es zeichnet sich ab, dass das konstant hoch bleibt. Unser Café ist kein Aufenthaltsort mehr, das Essen muss mitgenommen werden und auch die Abgabestelle des «Tischlein deck dich», wo man sonst Lebensmittel beziehen kann, ist noch geschlossen. Trotzdem machen wir dasselbe wie sonst: Essen ausgeben und beraten.

Wir haben hier schon früh Plexiglasscheiben aufgestellt, überall Desinfektionsmittel, Infoständer. Unsere Krux war: Als wir endlich Masken hatten, kamen die Leute wieder näher. Zum Glück hatten wir keinen Covid-19-Fall unter den Gästen, nur einmal einen Verdacht. Da haben wir gemerkt, Vorsicht ist nach wie vor oberstes Gebot. Wir halten den Abstand ein, aber unter den Gästen ist es schwierig. Zum Glück stellte sich die Meldung als falsch heraus. Es war und ist ein Tanz auf Messers Schneide.

Anfang Juli überlegen wir gemeinsam mit den anderen sozialen Anlaufstellen, wie es weitergehen soll und wie wir die Abstände trotz Lockerungen weiter aufrechterhalten können. Da braucht es kreative Lösungen. Ich bin froh, ist es bald Sommer und nicht so kalt. So kann unsere Klientel gut draussen sein, drinnen ist die Ansteckungsgefahr ja viel höher.»