«Man kann nie wissen, wer welchen Rucksack trägt»

Seitenwechsel LinkedIn 02 (18)

Sabine Christen verbringt eine Woche im Jugendheim Lory abseits ihres normalen Arbeitsalltags bei der Schweizerischen Post. Dort begleitet Sie junge Frauen beim Vollzug ihrer zivil- und strafrechtlichen Erziehungsmassnahmen. An viele Erlebnisse aus der Woche erinnert sie sich auch noch heute:

«Eindrücklich war beispielsweise ein Erlebnis mit einer jungen Frau auf der geschlossenen Abteilung, welche erst ein paar Tage dort war. Sie war noch in der Rebellionsphase und hatte sich noch nicht richtig eingelebt. Als ich mich an meinem letzten Tag auf dieser Station beim Zimmereinschluss verabschiedete, umarmte Sie mich innig. Ich war überrascht und habe sie intuitiv einfach zurück umarmt. Im Anschluss hat mir die Sozialarbeiterin, die mich begleitet hat, bestätigt, dass meine spontane Reaktion gut war. Sie war sehr positiv überrascht, dass das Mädchen in einer so kurzen Zeit ein Vertrauen zu mir aufbauen konnte. Die Situation hat mich persönlich gerührt und geehrt.

Herausfordernd und belastend war für mich das Wissen um die schwierige Vergangenheit der Mädchen. Viele von ihnen wurden vernachlässigt und hatten Gewalt oder sexuellen Missbrauch erlebt. Durch diese Vorgeschichten konnte schon ein kleiner Trigger eine normale und ruhige Situation von einem Moment auf den anderen völlig zum Eskalieren bringen. Das hat mir eindrücklich gezeigt, dass man nie wissen kann, wer welchen Rucksack mit sich trägt.

Durch die Erfahrung in meinem SeitenWechsel bin ich heute auch bei meiner Arbeit aufmerksamer in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Ich versuche die Personen bewusster wahrzunehmen und auf sie einzugehen. Meine Mitarbeitenden spreche ich viel schneller an, wenn ich den Eindruck habe, dass etwas nicht gut ist. Früher hatte ich eher eine abwartende Haltung. Jetzt versuche ich ehrliche Fragen zu stellen und echtes Interesse zu zeigen. Ich kommuniziere auch meine Befindlichkeiten klarer. Damit möchte ich eine offene Atmosphäre schaffen, in der die Mitarbeitenden aufeinander zugehen.

Der SeitenWechsel hat mich insgesamt persönlich gestärkt. Es war eine intensive und unglaublich bereichernde Woche.»