Begegnungen im Asylzentrum
«Ich musste als erstes einen Teil meiner eigenen Kleider gegen Neue eintauschen, erhielt ein Hygieneset und wurde mit einer Frau, mit der ich mich kaum verständigen konnte, in ein Zimmer eingeteilt.» So startete Nora Regli Projektleiterin bei der Stadt Zürich in ihren SeitenWechsel im Asylzentrum Bergruh.

Den ersten Teil ihres SeitenWechsels verbrachte sie als Teil der Gruppe von Asylsuchenden. Im zweiten Teil der Woche begleitete Nora Regli die Mitarbeitenden. Sie war von Anfang an von der Gastfreundschaft und Offenheit im Asylzentrum Bergruh beeindruckt. «Eine Frau aus der Türkei, die bereits recht gut Deutsch sprach und mit ihren zwei Kindern im Zentrum lebte, nahm sich meiner sofort an. Sie lud mich zu einem türkischen Kaffee ein und später auch zur Überraschungs-Geburtstagsparty meiner Zimmerkollegin.
Trotz der überaus herzlichen Aufnahme waren für mich die Tage in der fremden Umgebung anstrengend.
Es war für mich eindrücklich, selbst zu erfahren, was es bedeutet, nicht zu wissen, wohin man gehört und wie man sich in der Gruppe zu verhalten hat.
Es war intensiv und herausfordernd. Dessen ist man sich oft nicht bewusst oder vergisst es schnell. Diese Erfahrung lässt mich Situationen in meinem Leben etwas anders beurteilen.
Das Migrationsrecht gibt dem Asylwesen klare Vorgaben. Frühe Integration und ein strukturiertes Tagesprogramm sind im Asylzentrum Bergruh sehr wichtig und – so scheint mir – auch sinnvoll. Die klaren Strukturen gingen aber Hand in Hand mit einer empathischen Führung des Zentrums. Es war auch schön zu sehen, dass es Raum für Ideen der Mitarbeitenden gab. Eine Mitarbeiterin, die selbst einen Migrationshintergrund hat, bot beispielsweise regelmässige Frauen-Nachmittage an. Das Verständnis der Mitarbeiterin für die Situation der Migrantinnen und ihr persönliches Engagement war dabei deutlich spürbar. Diese Nachmittage wurden für die Migrantinnen ein wichtiger Fixpunkt in ihrem Alltag.
Es wurde mir auch wieder bewusst, dass vieles, was ich für selbstverständlich halte, es eigentlich gar nicht ist.
Wertvorstellungen sind sehr unterschiedlich. Pünktlichkeit wurde im Asylzentrum beispielsweise sehr unterschiedlich interpretiert. Aber auch in der Kindererziehung stellte ich fest, dass viele Dinge, die ich für selbstverständlich hielt, es nicht sind. Ein weiteres Beispiel dafür war auch, dass es im Asylzentrum zwar viel Gemüse zum Kochen gab, aber keine Früchte zur Selbstbedienung. Ich erfuhr, dass meine Vorstellung von «Aufessen» nicht allgemeingültig ist und viele angebissene Früchte im Zentrum herumliegen würden. Vieles funktioniert im Zentrum nicht so, wie man es sich gewohnt ist. Man muss sich als Mitarbeiterin trotz klar geregelten Strukturen auf ständig neue Situationen einlassen können.
Aus meinem SeitenWechsel möchte ich auf jeden Fall die Offenheit, Freundlichkeit und Gastfreundschaft, die ich im Asylzentrum erleben durfte, mitnehmen. Der SeitenWechsel im Asylzentrum Bergruh war eines meiner prägendsten Erlebnisse im letzten Jahr.